Lehrkräfteausbilderin Anja Urbansky steht links vor einem geöffneten Schließfach und spricht mit ihrem Kollegen Marco Fiedler von der Projektgruppe Videografie, der ein Tablet in seinen Händen hält.

Videografie in der Lehrkräfteausbildung: Sich selbst beim Unterrichten zusehen

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Eine Kamera läuft. Eine angehende Mathematiklehrerin erklärt spitze, stumpfe und rechte Winkel. Sie zeigt, wie man sie mit dem Winkelmesser misst und berechnet – konzentriert, engagiert. Später sieht sie sich selbst im Video: „Wie stehe ich vor der Klasse? Wie reagiere ich auf Zwischenrufe? Wie kommen meine Erklärungen wirklich bei den Schülerinnen und Schülern an?“ Solche Fragen lassen sich mit Videografie beantworten – präziser als jede Beobachtung aus dem Hintergrund es könnte. 

Seit 2018 gehört das Filmen und Analysieren solcher Unterrichtssituationen an der Lehrerausbildungsstätte (LAS) Leipzig des Landesamtes für Schule und Bildung (LaSuB) zur Ausbildung angehender Lehrkräfte an Oberschulen. Eine Projektgruppe an der LAS Leipzig möchte so die Rahmenbedingungen schaffen, damit Videografie von Ausbildenden an allen Lehrämtern der LAS eingesetzt werden kann – von der Sonderpädagogik über die Grundschule und Oberschule bis zum Gymnasium. Ziel ist es, das eigene pädagogische und fachliche Handeln bewusster wahrzunehmen – und dadurch gezielt zu verbessern. 

Drei Männer und eine Frau sitzen in einem Raum vor einem Monitor, auf dem eine Schulsituation mit einer Lehrerin und einer Klasse zu sehen ist.

Ganz genau hingeschaut: Der Videografie-Kursus Oberschule Stammgruppe 1 beobachtet jede Aktion und Reaktion in der Unterrichtsaufzeichnung ganz genau, um Feedback zu geben und auch das eigene pädagogische und fachliche Handeln zu schulen und zu verbessern. Foto: Marco Fiedler

Vom kollegialen Feedback zum professionellen Beratungsinstrument

Was als innovative Methode zum Training des kollegialen Feedbacks begann, soll sich zu einem festen Bestandteil der Lehrkräfteausbildung entwickeln.  Anfangs ging es dem Videografie-Team lediglich darum, Unterrichtssituationen per Video zu analysieren und miteinander zu besprechen.  

 

Inzwischen haben sie das Feedback um pädagogische und fachliche Perspektiven erweitert. Im Fokus steht nicht die Bewertung der Lehrkraft, sondern die Qualität des Unterrichts und des Agierens des angehenden Lehrers oder der Lehrerin. Dazu setzen sie pädagogisches und fachliches Handeln in Beziehung; die angehenden Lehrkräfte lernen ihre Arbeit aus ungewohnten Perspektiven kennen. 

 

Mehr als ein Beobachtungstool

„Man kann Sequenzen wieder zurückholen, die einem als handelnde Person oder Beobachter im Hintergrund entgehen“, erklärt Marco Fiedler, Hauptausbildungsleiter im Lehramt Oberschule. Er ist Teil der AG Videografie und prägt den Ansatz der Videografie in der Lehrkräfteausbildung an der Lehrerausbildungsstätte Leipzig maßgeblich mit. 

 

Das LaSuB stellt für die Seminare Technik und Know-how bereit, etwa Videokameras und iPads für die Aufzeichnungen. Auch die Ausbilderinnen und Ausbilder werden geschult: „Die Videografie reicht deutlich über das klassische Beratungsgespräch nach dem Unterrichtsbesuch hinaus“, betont Fiedler. Der Unterrichtsbesuch bleibt, wird aber um eine hilfreiche Reflexionsmöglichkeit ergänzt. 

 

Es ist der Brustbereich einer Frau in einem grau-weiß karierten Jacket und einem hellen T-Shirt zu sehen. Am Revers der Frau klemmt ein kleines Mikro mit Windpuschel.

Angesteckt und aufnahmebereit: Eine technisch einwandfreie, verständliche Aufzeichnung erleichtert die detaillierte Analyse der Unterrichtssequenzen. Foto: Marco Fiedler

Lernen durch Reflexion

Angehende Lehrkräfte können ihr eigenes Handeln mit Videografie aus neuen Perspektiven betrachten – und so besser verstehen. Ein Beispiel: Unterrichtsstörungen. „Das sind sehr komplexe Situationen für Lehrkräfte“, erklärt Fiedler. „Sowohl sie als auch die beobachtende Person können das alles in Echtzeit nicht überschauen.“  

 

Eine Videoaufzeichnung zeigt Mimik, Gestik und Sprache der Lehrkraft – alles Elemente, die im hektischen Alltag leicht übersehen werden. Außerdem können Betrachter auch auf fachlicher und fachdidaktischer Ebene nachvollziehen, wie Aufgaben bei Schülerinnen und Schülern ankommen. 

 

Die LAS Leipzig fokussiert klar auf persönliche Reflexion. „Die Beobachtungsaufträge gehen an die Lehrkräfte in Ausbildung selbst: analysieren und multiperspektivisch betrachten.“ Die Ausbilderinnen und Ausbilder an der LAS Leipzig verstehen den Vorbereitungsdienst als Chance, sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, zu lernen und weiterzuentwickeln. 

 

Fachbeispiel: Winkel im Mathematikunterricht

Ein Beispiel aus der Praxis: In einer sechsten Klasse steht das Thema Winkel an. Die Videoanalyse beleuchtet zwei Ebenen – das pädagogische Lehrerhandeln und die fachliche Vermittlung. In der Analyse werden anschließend beide Aspekte betrachtet. Dabei geht es um Fragen wie: Wie steht und spricht die Lehrkraft? Wie ist das Thema didaktisch und methodisch aufbereitet? Wird die Aufgabe visualisiert und verstanden? „Auf die Visualisierung legen wir großen Wert“, betont Marco Fiedler. Sie ist entscheidend, um die Schülerinnen und Schüler abzuholen und individuelle Lernprozesse durch Sehen und im Idealfall auch Begreifen zu unterstützen. 

 

Ebenso wird analysiert, wie Arbeitsanweisungen verstanden werden und ob eine Methode klar eingeführt wurde. Am Ende steht die Reflexion: Hat der Unterricht geholfen, den Lernstoff besser zu verstehen? So entsteht ein ganzheitliches Bild – und eine Chance für die Lehrperson, das eigene Handeln gezielt weiterzuentwickeln. 

 

Eine Frau in Jeans und grau-weiß kariertem Jackett mit rotblonden langen Haaren ist von hinten zwei Mal vor einer grünen Schultafel zu sehen. Einmal verschwommen im Hintergrund und auf dem Monitor mit der Kamera, mit der sie gefilmt wird. Sie hat eine Zelle mit Kreide an die Tafel gemalt und mit der Überschrift "Die Pflanzenzelle" versehen.

Ein Beispiel aus dem Biologie-Unterricht: Die Pflanzenzelle. Wie visualisiert die Lehrerin das Thema? In diesem Fall zuerst einmal mit einer Kreidezeichnung der Zelle und ihres Innenlebens auf der Tafel. Foto: Marco Fiedler

Hürden durch den Datenschutz

Bei allem Engagement bleibt eine Herausforderung: der Datenschutz. „Sachsen hat ein starkes Datenschutzgesetz. Für jede einzelne Aufzeichnung müssen Sie die Eltern schriftlich um Erlaubnis bitten“, erklärt Fiedler. Oft kommen Zettel nicht zurück – das erschwert die Arbeit erheblich. „Wenn ein größerer Teil der Schülerinnen und Schüler nicht mitmachen darf, ist das keine natürliche Situation mehr.“ 

 

Die Projektgruppe hatte deshalb beim Landesdatenschutzbeauftragten angefragt, ob eine Vereinfachung oder eine Opt-out-Lösung – wie etwa in Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen – möglich wäre. Die Antwort: Für jede Video- und Audioaufzeichnung zu Ausbildungszwecken werden Einzelnachweise benötigt.   

 

Blick nach vorn

Seit inzwischen sieben Jahren ist die Videografie fester Bestandteil der Lehrkräfteausbildung am Standort Sachsen. Schritt für Schritt hat sich daraus eine neue Qualität professioneller Reflexion entwickelt – mit dem Ziel, Lehren und Lernen multiperspektivisch sichtbar zu machen. Oder – wie Marco Fiedler es formuliert: „Wir wollen die Videografie in die Fächer hineinbekommen, weil damit fachliches und pädagogisches Handeln viel besser eingefangen werden kann. 

 

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