Lara Schreck ist Sonderpädagogik– und Musik-Studentin und hat ihr Ziel vor Augen: In einigen Jahren Lehrerin im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung oder Lernen zu sein. Die 23-Jährige verließ sich bei der Entscheidung für ihre Studienfächer auf ihr Gefühl und zog kurzerhand von Dortmund nach Leipzig. Nach einem Wechsel vom Schwerpunkt Sozial-Emotionale Entwicklung zu Geistige Entwicklung ist sie rundum glücklich mit ihrer Wahl, ihrer bisherigen Praxiserfahrung und vor allem damit, was ihr die Kinder zurückgeben.
Achtung, Longread! In sieben Minuten gibt es dafür aber auch einen tieferen Einblick ins Sonderpädagogikstudium und in die Unterrichtspraxis.
Lara, du studierst Sonderpädagogik mit Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung und das Fach Musik in Leipzig. Wie läuft das ab?
Ich bin im zehnten Semester. An der Universität Leipzig absolviere ich die erziehungswissenschaftlichen, didaktischen und fachlichen Module im Bereich Sonderpädagogik und Grundschule: Mathe, Deutsch, Sachunterricht. An der HMT, der Hochschule für Musik und Theater ‚Felix Mendelssohn Bartholdy‘, studiere ich dazu im vierten Fach Musik. Insgesamt sieht das Studium sechs Pflichtpraktika vor. Davon sind zwei Blockpraktika, die ich an der Westlausitzschule Kamenz mit dem Förderschwerpunkt Lernen und an der Helene-Haeusler-Schule in Berlin jeweils vier Wochen lang gemacht habe. Gerade bin ich in meinem letzten semesterbegleitenden Pflichtpraktikum an der Karl-Neumann-Schule, Förderzentrum mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, in Eilenburg. Im Sommer 2026 werde ich das erste Staatsexamen machen und könnte mir aktuell gut vorstellen, anschließend in den zweijährigen Vorbereitungsdienst zu gehen.
Du bist für dein erstes Blockpraktikum in den Landkreis Bautzen gegangen. Wolltest du bewusst so richtig aufs Land?
Ich komme ursprünglich aus Dortmund, einer Stadt mit einem großen Stadtgebiet. Ich bin 2020 nach Leipzig gezogen und habe gar nicht unbedingt daran gedacht im ländlichen Raum ein Praktikum zu machen. Der Platz in Kamenz wurde mir über das zentrale Praktikumsportal zugeteilt. Ich habe in einem noch kleineren Ort, in Crostwitz, gewohnt und besonders die Landschaft und die Natur genossen. Ich wurde morgens vom Hahn geweckt, konnte zwischen den Feldern joggen und abends die Pferde auf der Weide streicheln. Es gab viele schöne Situationen: Ich bin zum Beispiel von meiner Vermieterin spontan auf den Geburtstag ihres Mannes eingeladen worden und fand mich abends mitten in einer Familienfeier wieder.
Ich hatte ein Auto in dieser Zeit zur Verfügung, sodass ich zur Schule pendeln und auch mein E-Piano mitnehmen konnte. Es war gut, dass die Perspektive Land, ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus, das finanziell unterstützt hat, weil ich in den vier Wochen vor Ort wohnen musste und Mehrkosten hatte. Für Perspektive Land habe ich in der Zeit in Kamenz auch den Praktikumspodcast übernommen und über meine Erfahrungen berichtet.
Mit dem zweiten Blockpraktikum in Berlin lief es anders. Mir war eine Krankenhausschule in Sachsen zugeteilt worden, nur konnte die Schule mir keine Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt garantieren. Das ist aber eine formale Voraussetzung. Selbst Schulen anzufragen ist in Sachsen nicht erlaubt, in anderen Bundesländern dagegen schon. Also habe ich mich informiert, mich in Berlin initiativ bei einigen Schulen beworben und mich dann für die Helene-Haeusler-Schule entschieden.
Wie kamst du zu deiner Studienfach-Entscheidung für Sonderpädagogik? Haben dich Lehrerinnen oder Lehrer motiviert?
Ich habe 2020 mein Abitur gemacht und hatte die Leistungskurse Pädagogik und Biologie. Ein Studium im naturwissenschaftlichen Bereich wäre für mich genauso denkbar gewesen. Dann kam Corona. Ein FSJ, ein Freiwilliges Soziales Jahr, im Ausland ging nicht, die Möglichkeiten, sich auszuprobieren, waren begrenzt. Da ich schon in der Kinder- und Jugendarbeit in meiner Freizeit aktiv war und länger den Gedanken hatte, Sonderpädagogik zu studieren, habe ich ein Praktikum in einer Schule mit Förderschwerpunkt Lernen gemacht. Und dann habe ich einfach damit angefangen. Das erste Studienjahr war eher ein „Jetzt einfach erst mal machen und schauen, wie es sich anfühlt“. Offensichtlich ziemlich gut!

Der Weg in die Sonderpädagogik war vorgezeichnet: In ihrem „Klassenbuch“ hielt Lara Schreck als Kind schon die Namen ihrer Kuscheltier-Schülerinnen und -Schüler fest und plante Unterricht in kleinen Fördergruppen nach Bedarf. Foto: Lara Schreck
Meine eigene Schulzeit habe ich positiv erlebt, und ich bin immer sehr gerne in die Schule gegangen. Als Kind habe ich mit einer kleinen Kreidetafel Schule gespielt, meine Kuscheltiere waren die Schülerinnen und Schüler. Das „Klassenbuch“ habe ich bis heute in meiner Erinnerungskiste. Wenn ich da hineinschaue, sehe ich tatsächlich so etwas wie die ersten Bemühungen um einen differenzierten Unterricht. Zum Beispiel in Fördergruppen – für ein Schaf, eine langsame Schildkröte oder für den lauten Bären.
Meine Mama ist Sonderpädagogin an einer inklusiven Grundschule, hat aber andere Förderschwerpunkte und ein anderes Fach studiert. Das spielte für meine Studienfachwahl keine bedeutende Rolle. Wenn wir uns heute austauschen, geht es eher um Fachliches wie institutionelle Grenzen, persönliche große Meilensteine wie mein erstes diagnostisches Fördergutachten für eine Fallstudie oder um Impulse aus der Uni.
Musik spielt eine wichtige Rolle in deinem Leben, im Studium und im Unterricht. Woher kommt das?
Musik war bei mir immer sehr präsent. Ich singe, spiele Klavier und habe kürzlich zwei Songs aufgenommen. In der Grundschule hatten wir schon einen Lehrer, der Ukulele gespielt und uns Schülerinnen und Schüler musikalisch eingebunden hat. Er hat mich zum Beispiel bestärkt, bei einem Auftritt die Klasse auf dem Klavier zu begleiten. Diese Komponente von Musik im Unterricht fand ich damals schon toll.
Musik kann ich jetzt auch gut bei den Kindern einbringen. Ich gehe an meinen Unterricht immer mit einem inklusiven Blick heran: Was braucht jede oder jeder Einzelne, damit es funktioniert? Wie kann ich ihr oder ihm ermöglichen, das aus den eigenen Ressourcen herauszuholen, dass es individuell funktioniert? Ich versuche jede Stunde so zu planen, dass sie ressourcen- und kompetenzorientiert und kreativ ist. Das geht mit Musik natürlich sehr gut. Wenn wir Musik machen, überlege ich mir vorher: Was gebe ich wem? Das können Klanghölzer sein, nach Farben angeordnete Post-its für drei Töne auf dem Klavier, ein leiser Salzstreuer für den Rhythmus oder Taster, die gedrückt werden.
So haben wir in einer Stunde „Shake It off“ von Taylor Swift zusammen gespielt. Es war toll mitzuerleben, wie die Kinder Selbstwirksamkeit erfahren und das Gefühl „Ich habe das gemacht!“ bekommen haben. Das ist es auch, was mich am Schwerpunkt Geistige Entwicklung so begeistert: eine sehr schöne, individuelle Arbeitsweise in kleinen Klassen und nach Lehrplänen ohne Druck und Noten. Das sind andere Arbeitsweisen als an manch anderen Schularten, auch wenn ich den – wohl utopischen – Wunsch hätte, dass es überall so läuft.

Aus Kugeln und Strängen werden erst Noten und Herzen, dann Ziffern geformt. Mit Knete macht sich eine Schülerin in Lara Schrecks Einzelförderung mit dem Zahlenraum 1 bis 5 in Mathematik vertraut. Auge-Hand-Koordination und Feinmotorik werden so spielerisch geübt und das Zahlenverständnis verbessert – und Spaß macht das allemal. Fotos: Lara Schreck
Du hast mit dem Förderschwerpunkt Sozial-Emotionale Entwicklung angefangen, bist erst später zu Geistige Entwicklung gewechselt und sprichst voller Begeisterung davon. Wie kam es zu dem Wechsel?
Vor fünf Jahren hatte ich mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung kaum Berührungspunkte. Es spielten sicher auch Unwissenheit, Vorurteile, Unsicherheit und fehlendes Selbstvertrauen eine Rolle, sodass ich mir diesen Förderschwerpunkt nicht zugetraut hätte. Das hat sich im Studium geändert.
Heute weiß ich, wie wichtig etwa basales Arbeiten ist – und ich liebe ich es, die kleinsten Erfolge der Kinder zu feiern. Einen Taster mit dem Ton C zu drücken ist für manch ein Kind ein Riesenerfolg! Das sind die Momente, in denen ich sage: „Yes! Made my day!“ In meinem Bereich ist es ebenfalls enorm wichtig, vom Innen zum Außen hin zu denken – von den Kindern zum Unterricht und nicht umgekehrt.
Manchmal ist es aber auch emotional sehr fordernd. Wir hatten während meines Praktikums einmal einen Trauerfall in der Schule, von dem ich im Morgenkreis erfahren habe. Da musste ich erst mal später eine Runde in den Park gehen, um das zu verarbeiten.
Ich weiß inzwischen: Flexibilität, Empathie und vor allem Geduld sind gefragt, um die Kinder individuell zu fördern. Was tagtäglich dabei passiert, ist tatsächlich viel Kreativität. Bei mir schon in der Vorbereitung, um die Stunden zu entwickeln, bei den Kindern dann, wenn sie etwa ein Plakat mit einer Katze entwerfen sollen. Bei acht Schülerinnen und Schülern entwickle ich Teile der Stunde acht Mal mit einem immer ein bisschen anderen Zugang. Dafür muss man sehr viel nachdenken, gerade wenn es um Mini-Schritte geht. Aber dafür werde ich dann auch mit acht Mal Kreativität belohnt.
Ich habe tagtäglich acht neue und verschiedene Perspektiven auf die Welt erlebt! Das ist ein großes Geschenk. Die Kids bringen so viel Spaß, Lockerheit und Freude mit, das gibt mir sehr viel.
Inklusion ist ein wichtiges Thema für Schule, das oft kontrovers diskutiert wird – inklusive Schule oder Förderschule. Wie gehst du mit diesem Gegensatz um?
Mein Inklusionsbegriff hat sich in den letzten Jahren um 180 Grad gedreht. Inklusion kannte ich früher nur im schulischen Kontext. Ich habe mir während des Studiums und in der Praxis einen viel weiteren, einen inklusiven Blick auf das Leben angeeignet. Ich war früher kurzsichtiger, weniger optimistisch und flexibel.
In der Schule heißt das konkret: Die Kinder geben vor, was an diesem Tag geht oder nicht. Wir richten uns in unseren Möglichkeiten nach ihnen, auch wenn eine gewisse Struktur de facto besteht und für viele Kinder auch unerlässlich ist.
Letztlich geht es doch darum, wie wir uns alle als Menschen im gesellschaftlichen Raum begegnen. Ich weiß: Eine Barriere ist nicht unbedingt eine Barriere. In der Schule kann das aktuell bedeuten, dass es für ein Kind besser ist, in eine inklusive Schule zu gehen, für ein anderes aber eine Schule mit Förderschwerpunkt geeigneter ist, auch wenn das in Teilen exklusiv ist.
Und: Inklusion hört nicht vor der Schultür auf. Meinen inklusiven Blick nehme ich in alle Lebensbereiche mit. Außerdem kann ich das Bewusstsein für Inklusion im Alltag schärfen. Mein Papa etwa arbeitet bei der Polizei in Dortmund. Dort konnte ich in einem Führungskräfte-Workshop einen Vortrag zur inklusiven und ressourcenorientierten Teamleitung halten. Dabei hat sich herausgestellt, dass wir alle einen unterschiedlichen Inklusionsbegriff hatten. Aber das Verbindende ist, dass wir ein Spektrum gefunden haben, innerhalb dessen wir agieren können.

Von einer Schülerin mit Kreide gezeichnet, während Lara Schreck nach Unterrichtsende aufräumte: Bibi und Tina auf ihren Pferden (rechts). Nachgezählt und die Ziffern dazugeschrieben – und schon war die vorige Aufgabe ganz en passant wiederholt. In den fünf Minuten blieb sogar noch genügend Zeit, um die angehende Lehrerin anschließend als ‚Kopffüßlerin‘ in Farbe zu verewigen und die Arbeitsergebnisse der Stunde per Foto zu dokumentieren. Fotos: Lara Schreck
Deine Sicht auf die Welt hat sich durch dein Studium verändert. Erzähl gern mehr davon!
Kompetenzorientiert zu denken, zu handeln und grundsätzlich gut von Menschen zu denken spielt bei uns an der Uni eine Riesenrolle im Bereich Geistige Entwicklung. Anerkennung, Empathie sowie das Voneinander-Lernen – auch der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler voneinander! – in den Fokus zu rücken. Sich die eigenen und die Ressourcen der Kinder immer wieder vor Augen zu führen.
Wir orientieren uns beispielsweise bei Schülerinnen- und Schülerbeschreibungen daran, was die Kinder mitbringen und überlegen uns, wie wir das fördern können. Das wird im Studium in die Bewertungen einbezogen, wenn ich zum Beispiel ein Unterrichtskonzept abgebe. Ich finde es großartig, dass bei uns in der Lehre so großer Wert darauf gelegt wird. Meine Mentorin in Berlin hat mit genau diesem wertschätzenden und inklusiven Blick gearbeitet. Davon habe ich sehr profitiert und viel von ihr gelernt.
All das entspricht meinem Zugang zur Welt, wie ich fühle und wie ich mir die Welt wünschen würde. Deshalb fühlt es sich gerade sehr richtig an, wo ich momentan stehe und perspektivisch hinschauen darf.
Du kommst ursprünglich aus Dortmund und bist zum Studium nach Leipzig gezogen. Hast in Kamenz und in Berlin deine Blockpraktika gemacht und arbeitest gerade in der Einzelförderung in Eilenburg. Planst du nach deinem Studium zu bleiben und Lehrerin in Sachsen zu werden?
Leipzig ist in jedem Fall mein neues Zuhause. An welcher Art von Schule ich später arbeiten werde, weiß ich noch nicht. Vielleicht an einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung oder Lernen, vielleicht an einer inklusiven Grundschule. Im Primarbereich und viel mit Musik zu arbeiten, kann ich mir jedenfalls sehr gut vorstellen. Ich bin nicht festgelegt, wo es nach dem Examen hingeht. Ich bin aber in jedem Fall offen für Neues und flexibel.