Musiklehrer Maik Wagner steht vor einer Klasse des Sportgymnasiums Dresden und erklärt mit ausholender Armbewegung etwas. Im Hintergrund ist eine Wand mit aufgehängten E-Gitarren zu sehen.

„Ich war kein klassisches Musikschulkind“

Zufälle wiesen Maik Wagner häufig den Weg und führten ihn in die richtige berufliche Richtung – immer mehr in die Musik hinein. Obwohl der Musiklehrer sich selbst als „Spätzünder“ bezeichnet, ist der rote Faden im Werdegang des 54-Jährigen erkennbar. Am Sportgymnasium Dresden zeigt er angehenden Spitzensportlerinnen und -sportlern, dass ein großes Talent im Leben keineswegs den Verzicht auf das Entdecken neuer  Leidenschaften bedeuten muss.

 

Anziehung im Vorübergehen

Am Wochenanfang stehen die Chancen für die Schüler des Sportinternats im Schulkomplex gut, den Sound von Schlagzeug, Saxophon, Gitarre und Keyboard auf dem Campus-Hof zu hören. Dann probt die Montagsband. Die Organisation der Termine ist ein Kunstwerk, denn es ist Flexibilität in der Besetzung oder Koordination der Zeitfenster gefragt. Wegen der vielen Trainings und Wettkämpfe kann nicht jede und jeder regelmäßig dabei sein.

 

Im Sommer 2022 zerfiel mit dem Weggang eines Musiklehrers die bisherige Schulband. Das Aus? Nur für ein paar Monate. Dann ergriffen Schüler die Initiative, kamen auf Maik Wagner zu und wollten wissen: „‘Würden Sie uns unterstützen? Wir wollen der Erzieherin im Internat ‘Mit 66 Jahren’ spielen.’ Ich habe mir gedacht: Oh, cool.”

 

Spitzensport oder Klarinette? Beides!

Die Noten wurden für Klavier, Bass, E-Gitarre, Schlagzeug und Klarinette arrangiert. Maik Wagner und die Montagsband legten erneut los. Anfang Dezember spielten sie der Erzieherin zum Geburtstag den Udo-Jürgens-Gassenhauer vor. “Danach stellte sich die Frage: Wollen wir weitermachen?” Die Antwort war ein eindeutiges Ja. “Seitdem läuft das.” Maik Wagner gab die ersten Anstöße zur Musikauswahl; längst äußern die Schüler eigene Wünsche. “Gestern waren wir nur Klavier, Saxophon oder Klarinette, zwei Mal Gesang und ich an der Gitarre. Aber wir haben trotzdem gearbeitet. So ist das alles aus Schülerinitiative entstanden.”


Die Bandmitglieder und der Sound motivieren im Idealfall die nächsten, selbst mitzumachen. Insbesondere jener Eishockey spielende Schüler, der “völlig selbstverständlich” seine Klarinette mit sich herumträgt und spielt, sei ein großes Vorbild für die anderen. Er trage viel dazu bei, dass die Mitschülerinnen und Mitschüler sich ebenfalls ausprobieren. Zwischenzeitlich gab es, nach der Montagsband, sogar eine Dienstagsband, die “immerhin für knapp 30 Minuten” einmal in der Woche in der 9. Stunde zusammenkam.


Schüler und Musiklehrer Maik Wagner stehen bei einer Weihnachtsfeier im Sportgymnasium Dresden gemeinsam auf der Bühne.

Weihnachtsaufführung der Schüler eines 12er-Kursus‘ am Sportgymnasium Dresden mit Musiklehrer Maik Wagner an der Gitarre (im Sitzen) Foto: Silvio Henker

Wie kann man bloß so viel aus einer Gitarre herausholen?

Das Gesetz der Anziehung wirkte einst bei Maik Wagner selbst. Obwohl er in seiner Schulzeit Musikunterricht hatte, war er “kein klassisches Musikschulkind”.  Mit der eigenen Musikleidenschaft ging es mit 17 Jahren in Wagners Berufsschulzeit während seiner Ausbildung zum Landmaschinen-Traktorenschlosser und mit “den ersten beiden Zufällen” los. Der FDJ-Sekretär der Berufsschule, der in Leipzig selbst Musik machte, und die Band “Die Findlinge” beeindruckten ihn. Ein anderer Lehrer spielte im Gitarrentrio “Zartbitter”. “Sie haben tolle Sachen von Edith Piaf gesungen und so mit den drei Gitarren musiziert, dass ich mich gefragt habe: Wie kann man da bloß so viel herausholen?”

 

Die “Zartbitter-Freitagsbühne” in einem Jugendklub, das “Duo Sonnenschirm” mit Jürgen B. Wolf aus Leipzig und das Tanz- und Folkfest in Rudolstadt prägten Maik Wagner ebenfalls. “Ich hatte Kontakt zu Leuten, die so einen kleinen Gitarrenkurs machten und mir was zeigen konnten. Da kam bei mir der Wunsch auf, selbst Musik zu machen.” Das gelang. “Ich habe schon nur mit laienhafter Ahnung in den verschiedensten Bands Musik und Straßenmusik gemacht, bin zu Töpfermärkten und so was gefahren und habe dort gespielt.”

 

Vom Sozialarbeiter zum Musikpädagogen

Mitten in der Wende studierte er an der Fachschule für Sozialpädagogik Hohenprießnitz. Seine Anstellung als Sozialarbeiter und Jugendhausleiter ließ er schließlich aber ebenfalls hinter sich. Es folgte ein weiterer glücklicher Zufall. Ein Freund machte ihn auf Möglichkeit aufmerksam, sich im Heinrich-Schütz-Konservatorium in Dresden zum Musikpädagogen im Nebenberuf ausbilden zu lassen. Weil Wagner “ein bisschen Mandoline” spielte, wurde er damit sofort im Hauptfach und mit Gitarre im Nebenfach zugelassen. Nach dem Abschluss gab es allerdings einen Wertmutstropfen: “Man hatte nur eine Lehrbefähigung bis zur U1.” 

 

“Ich habe im Studium alles aufgesogen”

Maik Wagner beschloss, “das Ganze auf bessere, zukunftssichere Füße” zu stellen. “Sicher war es wieder Zufall, dass mir jemand steckte, dass ich in Cottbus auch in meinem Alter, mit über 30, noch studieren konnte.” Das Musikpädagogikstudium in den Hauptfächern klassische Gitarre, musikalische Früherziehung und Mandoline im Nebenfach an der BBU Cottbus-Senftenberg war auf Vollzeit angelegt. Schwierig für jemanden, der Haus und Familie – ohne BaFöG – weiterfinanzieren musste. Doch Kolleginnen und Kollegen aus der Musikschule, an der er inzwischen unterrichtete, bestärkten Wagner. Er tüftelte sich einen strapaziösen Wochenplan aus: vormittags Pendeln und Studium in Cottbus, nachmittags die Arbeit als freiberuflicher Gitarrenlehrer an Musikschulen. “Ich habe mir viele, viele Semesterpläne im Vorfeld angeschaut.”


Ein Kollege coachte Wagner für die Aufnahmeprüfung. “Ich habe mir gesagt, mir rennt nichts weg, wenn ich mich wirklich gut vorbereite und mir anderthalb Jahre Zeit nehme.” Der Erfolg gab ihm Recht. “Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich allen Ernstes angenommen worden und habe mit 36 mein Hochschulstudium begonnen.” Er genoss es trotz des anstrengenden Timings: “Man studiert in dem Alter mit einem ganz anderen Bewusstsein. Ich war immer dankbar, dass ich das noch machen darf. Ich habe alles aufgesogen. Für mich war das einfach nur schön und ganz, ganz viel Input.”


Auf einem kleinen Hügel vor dem Sportgymnasium hat sich Maik Wagners erste Klasse, die er leitet, zum Gruppenbild vor dem Sportgymnasium Dresden zusammengefunden.

Maik Wagner (hinten rechts) bereitete sich als Stellvertreter in den Klassen 6-1 bis 6-3 im Schuljahr 2023/24 auf die Übernahme eigenen ersten Klasse im folgenden Schuljahr vor. Foto: Sven Leibiger

Mit den Ressourcen pfleglich umgehen

Maik Wagner setzt sich nun seit 2018 als Lehrer am Sportgymnasium Dresden stark für die Musik im Schulalltag ein. Die jahreszeitlichen Höhepunkte wie Schuljahresbeginn, Weihnachten oder Schulabschied  sollen begleitet werden. “Das gehört für mich einfach dazu.” Dadurch kommen immer viele Wünsche, Anlässe und Probentermine auf ihn zu. Umso wichtiger ist es ihm, mit den eigenen Ressourcen pfleglich umzugehen: “Ich mache das sehr, sehr gerne. Aber obwohl ich mich dazu berufen fühle, ist das meine Arbeit und nicht meine Freizeitbeschäftigung.”

 

In 3 Reihen aufgestellt und auf Stühlen vorn sitzend sind die Schülerinnen und Schüler der Klasse 5-1 von Klassenlehrer Maik Wagner mit ihm auf dem Klassenfoto vor einer Hecke zu sehen.

Für alle Beteiligten ein erstes Mal: Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 5-1 starteten zum Schuljahr 2024/25 neu im Sportgymnasium Dresden, und Maik Wagner leitet zum ersten Mal eine eigene Klasse. Foto: Sven Leibiger

Die Puzzleteilchen des Erwachsenwerdens

Die späte Liebe zum Lehrer-Sein an einer staatlichen und überdies spezialisierten Schule trägt, allen Anforderungen und Belastungen zum Trotz. Im Sportgymnasium sieht Wagner, gerade wegen des komplett anderen Fokus’, welche Wirkung die Musik auf die Schülerinnen und Schüler hat. “Sie sollen merken, dass sie nicht nur im Sport begabt sind. Wenn sie gut sind, haben sie oft noch andere Talente. Natürlich braucht man auch eine kleine Begabung, aber am Ende ist es ein Prozess. Das ist die wesentliche Sache bei Musik.”

 

Was ist das Schönste für Maik Wagner in seinem Beruf? Nach sieben Jahren als Lehrer In Sachsen? “Wenn ich abends zu meiner Frau sagen kann: Es war heute wieder toll, vor der Klasse zu stehen und das und das mit den Schülerinnen und Schülern zu machen. Da ist etwas hängengeblieben, angekommen, sie haben das verstanden. Es ist einfach spannend zu sehen, wie sich Denkmuster bei den Schülerinnen und Schülern ändern, wie sie erwachsen werden. Und ich weiß: Ich habe vielleicht ein kleines Puzzleteil mit dazugelegt.”

 

Maik Wagners Tipps für angehende Lehrkräfte:

Achtet auf eure Ressourcen!

Unterschätzt nicht, was das Lehrer-Sein zeitlich bedeutet. Es ist keine 40-Stunden-Woche, wenn man es gut und engagiert macht. Schaut genau hin, was ihr wirklich leisten könnt. Könnt ihr zum Beispiel den Aufwand von Zusatzaufgaben wirklich richtig einschätzen? Fangt mit wenig an. Mehr geht immer noch.

 

Bereitet euch gut vor!

Wenn man vor 21, 24 oder 28 jungen Menschen steht, muss man sehr gut vorbereitet sein. Die Schülerinnen und Schüler merken das sonst sofort und dann wird es problematisch.

 

Seid ehrlich …

… zu euch selbst und zu den anderen. Sucht das Gespräch, klärt Konflikte und redet nicht hinter dem Rücken anderer.

 

Seid euch eurer Werte bewusst!

An einer Schule werden die Grundsteine für die Bildung gelegt, die junge Menschen mit formt und prägt. Ihr seid dafür zuständig, sie dabei zu begleiten und ihnen Wissen und Werte zu vermitteln.

 

Auf ungewöhnlichen Pfaden ins Lehramt? Kein Problem in Sachsen: