Nicht selten führen Umwege genau an den richtigen Ort. So veränderten bei der Englisch- und Deutschlehrerin Marie-Christin Vollroth die Entscheidung gegen das große Latinum und ein Auslandsaufenthalt ihre ursprünglichen Pläne. Sie wechselte deshalb im Studium vom Gymnasial- zum Oberschullehramt – und fand so ihre wahre Berufung als Lehrerin in Sachsen. Nun übt sie an manchen Tagen gleich drei Rollen aus – als Lehrerin an der Petrischule in Leipzig, als Fachausbildungsleiterin angehender Lehrkräfte und als Fachberaterin für Englisch beim Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) am Standort Leipzig.
Die eigene Berufung finden
Aufgewachsen in einem kleinen Ort im ehemaligen Sperrgebiet, war die Berufswahl für Marie-Christin Vollroth nach dem Abitur zunächst nicht einfach. „Ich entschloss ich mich, in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten und auch Lehrerin zu werden“, erzählt die 45-Jährige. Ursprünglich sollte es das Gymnasium werden, doch Marie-Christin Vollroth traf wegen des geforderten großen Latinums eine Entscheidung, die ihre Pläne änderte. „Nach wie vor denke ich, dass das Latinum absolut überbewertet für die Ausbildung zum Lehrer für Englisch oder Deutsch ist.” Nach einem Auslandsaufenthalt in den USA wechselte sie von der Friedrich-Schiller-Universität Jena an die Universität Leipzig zum Studium für das Lehramt an Oberschulen – „ohne zu wissen, was mich dort erwartet. Ich bin aber froh, dass alles so gekommen ist und total happy an der Oberschule.“
Erste Rolle: Als Oberschullehrerin im Unterricht
Der entscheidende Moment im Vorbereitungsdienst: „An der Oberschule Bad Düben, meiner Ausbildungsschule im Leipziger Norden, fühlte ich mich sofort angekommen, nicht zuletzt dank der großartigen Unterstützung meiner Mentorinnen.“ Was macht die Oberschule so besonders? „Die Vielfalt an Lebensgeschichten, denen ich dort täglich begegne, ist herausfordernd. Und genau das macht den Beruf so dynamisch und erfüllend. Vieles ist persönlicher, die Beziehungen zu den Schülerinnen und Schülern sind oft enger. Außerdem brauchen die Kids zusätzliche Unterstützung – fachlich, aber oft auch emotional. Mein Ziel ist es, sie zu stärken, zu motivieren und ihnen Mut zu machen, ihren eigenen Weg zu gehen.”

Englischunterricht bei Marie-Christin Vollroth: Was war da doch gleich am Loch Ness? (li.) Und Umweltverschmutzung an Meer und Küste – über Fotos und Präsentationen aus dem echten Leben kommen die Schülerinnen und Schüler ins Reden. Fotos: privat
Marie-Christins Lieblingsfach ist „ganz klar Englisch. Die kulturelle Vielfalt, die Themen rund um England, die USA oder Australien, kombiniert mit dem Training der sprachlichen Kompetenzen, bereiten mir große Freude.“ Die Unterrichtsvorbereitung fasziniert sie besonders. „Ich liebe das Eintauchen in neue Inhalte, das kreative Aufbereiten von schülernahen Themen und das Ausprobieren digitaler Tools und verschiedener Methoden.“
Rolle Nummer 2: Fachausbildungsleiterin für die Fachdidaktik Englisch
Der Schulalltag ist nur ein Teil von Marie-Christins vielfältigen Tätigkeiten. Als Fachausbildungsleiterin für die Fachdidaktik Englisch leitet sie momentan zwei Fachgruppen, konzipiert und hält seit elf Jahren Seminare auf Grundlage des Ausbildungscurriculums. Außerdem begleitet sie Lehrkräfte in Ausbildung und Seiteneinsteiger individuell. „Ich mache regelmäßig Unterrichtsbesuche an Ausbildungsschulen, tausche mich mit Mentoren sowie Schulleitungen aus und begleite die fachliche Entwicklung der angehenden Lehrkräfte.“ Bei der zweiten Staatsprüfung bewertet sie die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in Lehrproben und mündlichen Prüfungen.
Rolle Nummer 3: Fachberaterin mit praxisnahen Fortbildungen und KI-Einsatz für den Unterricht der Zukunft
Als Fachberaterin für Englisch unterstützt Marie-Christin das Landesamt für Schule und Bildung oder LaSuB – die Schulaufsichtsbehörde – bei der Qualitätssicherung der Lerninhalte. Sie besucht Berufseinsteiger, Seiteneinsteiger, ausländische Lehrkräfte sowie schulartfremde Kolleginnen und Kollegen, berät sie in methodisch-didaktischen Fragen und begleitet sie in ihrer Unterrichtsentwicklung. Sie ist außerdem regelmäßig auf Rundreise zu „ihren“ 15 Oberschulen in und um Leipzig herum: „Ich versuche alle Englischteams persönlich zu besuchen, denn der direkte Austausch ist mir besonders wichtig.“

Unterricht in einer modernen Oberschule hinter historischer Fassade: Die seit 1832 existierende Petrischule war seinerzeit die erste Bürgerschule zu Leipzig. Foto: privat
„Ich sehe mich als Impulsgeberin“, sagt Marie-Christin über ihre Rolle als Fachberaterin. „Ob in Fachkonferenzen oder individuellen Beratungen: Ich bringe neue Ideen ein, unterstütze und helfe dabei, die Qualität des Unterrichts weiterzuentwickeln.“ Marie-Christin entwickelte praxisnahe Fortbildungen, die ihren Kolleginnen und Kollegen neue Ideen für den Unterricht bieten. „Es gibt immer unterschiedliche Herangehensweisen an die Vermittlung von Lerninhalten. Deshalb zeige ich Alternativen auf, gerade weil wir es an Oberschulen oft mit sehr heterogenen Lerngruppen zu tun haben. Im Rahmen des aktuellen Maßnahmenpakets wurden die für die Arbeit der Fachberater und in der Fachausbildung vorgesehenen Stunden gekürzt. Das ist insbesondere deshalb schwierig, da an Oberschulen weiterhin einen hohen fachlicher Unterstützungsbedarf haben.“
Nicht weniger wichtig ist es ihr, die Digitalisierung des Unterrichts voranzutreiben – von Fortbildungen zum Einsatz von KI bis zu digitalen Tools für den Englischunterricht. „Ziel ist es, Lehrkräfte fit zu machen für die digitale Gegenwart. Digitalisierung gehört längst zum Schulalltag. KI ist ein toller Ideengeber und unterstützt viele Kolleginnen und Kollegen. Ich plane meine Stunden lieber selbst, passe sie aber individuell an die Klassen an. Für Texte, Bilder oder fremdsprachige Audios sind KI-Tools großartig.“
Mit der Fashion Show in die zweite Staatsprüfung
Marie-Christins zweite Staatsprüfung vor 16 Jahren war ein Erlebnis in vielerlei Hinsicht: „Ich habe mit meiner Englischklasse eine Fashion Show auf Englisch organisiert. Die Schülerinnen und Schüler präsentierten ihre Lieblingsoutfits auf einem selbstgebauten Laufsteg während zwei andere die Show live moderierten.“ „Showtime“ war am Nachmittag in der Aula der Oberschule Bad Düben; ein Freund zeichnete die Show per Video auf. „Es war großartig zu sehen, mit wie viel Begeisterung und Kreativität alle bei der Sache waren. Das war ein echtes Gemeinschaftsprojekt, das bei vielen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.“
Schule als Ort des Feierns

Gemeinschaftswerk mit viel Spaß und prachtvoller Deko: Der Petriball im Beethovensaal ist alljährliches Highlight im Schuljahr, bei dem Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Ehemaligen, Lehrkräften und Schulsozialarbeitern feiern. Foto: privat
Ein anderes, wiederkehrendes Highlight ist der jährliche Schulball: „Er wird unter anderem von Kollegen, Schulsozialarbeitern, engagierten Eltern und Schülern gemeinsam organisiert. Es gibt selbstgemachtes Essen aus unserer Schulküche und viele coole Aktivitäten wie beispielsweise eine Beauty-Station, an der sich die Kids professionell schminken lassen können. Die Schülerinnen und Schüler machen sich schick und erfahren die Schule einmal nicht nur als Ort des Lernens, sondern als einen Ort des Feierns. Besonders schön ist, dass auch viele ehemalige Schüler kommen. Dieser Abend ist geprägt von guten Gesprächen und es bewegt mich immer wieder zu sehen, welche Wege die Jugendlichen eingeschlagen haben und was aus ihnen geworden ist. Meine wohl bekannteste Schülerin dürfte Katja Krasavice gewesen sein. Ich denke, die meisten wissen, was sie inzwischen macht.“
Langeweile im Unterricht – nein danke!
Ihre eigene Schulzeit war prägend für Marie-Christins Unterrichtsgestaltung – im Guten wie im Schlechten: „Ich erinnere mich an Lehrer, die fachlich gut, aber menschlich sehr distanziert waren. Das wollte ich unbedingt anders machen, einen lebendigen, kommunikativen und abwechslungsreichen Unterricht gestalten. Bei mir sollen sich die Schülerinnen und Schüler gesehen und ernst genommen fühlen.“ Gerade der eigene Englischunterricht war seinerzeit eher abschreckend. „Wir haben beinah ausschließlich Texte übersetzt. Gesprochen wurde kaum, von Methodenvielfalt ganz zu schweigen. Kurz gesagt: Es war einfach langweilig.“
Ein Vorbild für den Lehrberuf ist Marie-Christins Mutter, Cornelia Seifert, die ihre Tätigkeit als Lehrerin und Schulleiterin mit großem Engagement und Herzblut ausübte. Sie wurde im Herbst 2023 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. „Die ganze Familie durfte sie begleiten. Das war ein unvergesslicher Moment.“
„Fachlich und menschlich immer in Bewegung bleiben!“
Trotz aller Herausforderungen ist sich Marie-Christin Vollroth sicher: „Lehrerin oder Lehrer zu sein bedeutet, fachlich und menschlich in Bewegung zu bleiben. Kein Tag ist wie der andere, jede Klasse ist anders, und mit jedem Schuljahr lerne ich selbst weiter hinzu.“ Empathie, Humor, Standfestigkeit und Teamfähigkeit sowie die Bereitschaft, sich permanent selbst zu reflektieren seien entscheidend für das Gelingen. „Die wichtigste Fähigkeit überhaupt ist für mich, eine echte Beziehung zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Wer kein Gespür für junge Menschen hat, wird in diesem Beruf langfristig unglücklich und kann auch die Kinder nicht erreichen.”
Lehrerin? Nach wie vor ein großartiger Beruf, der sehr erfüllend sein kann, findet Marie-Christin.
Drei Tipps von Marie-Christin für angehende Lehrkräfte:
- „Ganz wichtig: Bleibt authentisch. Kinder und Jugendliche merken sehr schnell, wenn jemand nur eine Rolle spielt. Authentizität schafft Vertrauen, und das ist die Basis für gelingenden Unterricht.“
- „Probiert euch aus. Es ist völlig normal, dass nicht alles von Anfang an perfekt läuft. Man muss erst einmal seinen eigenen Unterrichtsstil finden und das braucht Erfahrung und Zeit.“
- „Ich erinnere mich gut daran, wie mir eine liebe Kollegin damals den Rat gegeben hat: ‚Halte durch, es dauert gut zwei Jahre, bis du wirklich angekommen bist.‘ Sie hatte Recht. Nicht zu früh aufgeben – Dranbleiben lohnt sich. Denn auch die Schülerinnen und Schüler an Oberschulen verdienen engagierte Lehrer!“